Münchner Merkur, 31.3.2011

Münchner Merkur, 31.3.2011

Die Mittagsseglerin

Verlag Steinmeier, Deiningen 2011
mit einem Vorwort von Kurt Drawert

„Immer gültige Stimmungsbilder, helle Lichtbilder, die in scheinbar schwereloser Sprache das einfache zelebrieren“ 
Astrid Amelungse-Kurth

 

Gedichte von Monika Endres-Stamm
Vorwort von Kurt Drawert
 
Zum ersten Mal bin ich den Gedichten von Monika Endres-Stamm anlässlich eines Lyrikworkshops 2005 in Weßling begegnet, und es passierte, was durchaus selten ist: ich fühlte mich angezogen und berührt von einem so außerordentlich leisen, fragilen, mehr ins Innere des Körpers oder der Sprache zurück als in den Raum des Hörens oder Lesens hinein sprechenden Ton, dass ich spontan die Autorin zu mir in die Textwerkstatt nach Darmstadt einlud und dort drei Jahre mit ihr an ihren Gedichten arbeiten konnte. In dieser Zeit bestätigte sich, was diese erste Begegnung versprach: auf eine Lyrikerin gestoßen zu sein, die im herkömmlichen Sinne der Tradition kaum zuzuordnen ist, so als hätte sie jenseits aller Moden und Trends das poetische Sprechen für sich ganz alleine erlernt, und das in einer den Gedichten subtextuell unterlegten Unaufgeregtheit und Ruhe, die eher einer anderen als der europäischen Kultur zu entsprechen scheint. Tatsächlich, so erfuhr ich es später, hat Monika Endres-Stamm ein Dauerquartier auf Bali, das sie regelmäßig besucht, um dort jene Tonlage zu finden, die ihre Gedichte so unverwechselbar machen. Aber es ist nicht der literarische Deserteur, der in exotische Gegenden flüchtet, um dem Bedeutungsverlust der eigenen Sprache zu entkommen, es ist eine vollkommen unambitionierte und voraussetzungslose Übereinkunft von kultureller Mentalität und Innerlichkeit, die schon vor der Landschaft, in der sie zu sich selbst gekommen ist, vorhanden war. Je öfter ich ihreGedichte lese, umso mehr empfinde ich sie wie Bilder aus Sand, die der Wind wieder wegnimmt. Das ist ungewöhnlich und gerade im deutschen Gedicht, das bisweilen auch recht laut werden kann, kaum anzutreffen. Am ehesten noch, wollte ich nach einer Zuordnung suchen,  fielen mir die französischen Symbolisten ein, Stéphane Mallarmé oder Paul Valery etwa, oder die russischen Akmeisten, so konzentriert auf die Bedeutung des Wortes und so metaphorisch im lyrischen Bild, wie sie waren und wie auch Monika Endres-Stamm es ist. Das Gedicht „Selia“ – für mich eines der schönsten des Bandes – zeigt das Verfahren der symbolischen Überblendung von Realität sehr genau: „Zwei Stunden nur trennen den/ Frühling vom Sommer// gerade noch Apfelbäume/ Primeln Tulpen Narzissen// nun säumen Ginster und Oleander die Wege// und wieder der Macchiaduft/ das Lamm auf der Flucht// über der Bucht/ Serpentinen und Blech// Kadaver im kahlen Hang/ klettern Brombeeren// um verlassene Häuser/ alte Männer auf Bänken// haben sich nichts mehr zu sagen“ (- und kein Punkt am Ende des Satzes, was hier nur konsequent ist, da die Rede im Gedicht ja eben verweigert wurde). Fernab, eines der naturmagischen Gedichte zu sein, wie sie vor dem zweiten Weltkrieg geschrieben wurden, um dem Individuum ein humanitäres Reservoir in Flora und Fauna zu sichern – Lehmann, Loerke, Langgässer usw. –, ist die Natur hier lediglich Staffage und zerbrechlich wie die Sprache, die sie benennt. Das erzählende Subjekt verbirgt sich, wir wissen nicht, wo es sich befindet, welchen Standort es einnimmt, wer oder was es überhaupt ist. Aber sein Blick, der „den Frühling vom Sommer“ in zwei Stunden geschieden sieht, „das Lamm auf der Flucht“ und „über der Bucht/ Serpentinen und Blech“, fügt die disparate Welt zusammen, vor der „alte Männer auf Bänken“ verstummen, wie sich ja schließlich auch der Dichter immer nah am Verstummen bewegt. Umso treffender und schöner, was er – oder besser sie – hier zu sagen hat und gerade dort hinterlässt, wo andernorts die Leere waltet, zwischen den Wörtern und Sätzen, in ihnen und über sie hinaus. Ich wünsche diesem ersten Gedichtband von Monika Endres-Stamm viel Glück und viele ebenso überzeugte Leser, wie ich einer bin.
 
 
 Darmstadt, im September 2010